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3. Lebenslagen der Adressat:innen von Hilfen zur Erziehung

3.1 Familienstatus

Über die Ergebnisse der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik zum Familienstatus können vor allem Aussagen über die Situation in der Herkunftsfamilie gemacht werden. Mit Blick auf die Eltern des jungen Menschen bzw. den Elternteil, bei dem das Kind bzw. der:die Jugendliche lebt, wird unterschieden zwischen zusammenlebenden Eltern, Alleinerziehenden und Elternteilen, die mit einem:einer neuen Partner:in zusammenleben. Eine weitere Kategorie zur Situation der Herkunftsfamilie gibt an, wenn die Eltern verstorben sind oder auch nichts Weiteres über die Eltern bekannt ist.

Die Analyse zeigt ein eindeutiges Ergebnis: Während Erziehungsberatung1 auch weiterhin häufiger von zusammenlebenden Eltern nachgefragt wird und diese Differenz im Vergleich zu 2021 wieder um 4 Prozentpunkte gestiegen ist, werden ambulante Hilfen und Fremdunterbringungen mehrheitlich von Alleinerziehenden in Anspruch genommen. Bei der Fremdunterbringung zeigt sich 2022 jedoch ein Rückgang der Quote um 4 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr (vgl. Abb. 3.1). Es bleibt fraglich, inwiefern nicht nur die Lebenslage „Alleinerziehend“ das alltägliche Erziehungsgeschehen belastet, sondern auch, inwieweit bei Alleinerziehenden bestimmte Zuschreibungsprozesse in der Wahrnehmung der Fachkräfte in den Sozialen Diensten erfolgen.

Mit Blick auf die konkreten Zahlen zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Leistungssegmenten. Erziehungsberatungen erhalten in 46% der Fälle zusammenlebende Eltern. Der Anteil dieser Familienform fällt hingegen in den Hilfen zur Erziehung (ohne § 28 SGB VIII) mit 29% wesentlich geringer aus. Hier werden 47% der Fälle für Alleinerziehende gewährt. Der Anteil der Alleinerziehenden beträgt bei den ambulanten Leistungen 48%. Auch hilfeartspezifisch zeigt sich ein unterschiedliches Bild bei der Verteilung der Familienformen. Im ambulanten Hilfesetting sind die jungen Menschen aus Alleinerziehendenfamilien mit 40% anteilig am geringsten bei der Intensiven Sozialpädagogischen Einzelbetreuung vertreten. Der höchste Anteil von Alleinerziehendenfamilien in den ambulanten Hilfen wird für die Sozialpädagogische Familienhilfe ausgewiesen (52%). Hierbei hat sich die Differenz zwischen der Hilfe mit dem höchsten und der Hilfe mit dem geringsten Anteil im ambulanten Hilfesetting im Vergleich zu 2021 nicht wesentlich verändert (in beiden Jahren etwa 12 Prozentpunkte Differenz).

Bei Fremdunterbringungen wird aktuell ein Anteil von 45% an jungen Menschen aus Alleinerziehendenfamilien ausgewiesen. Dieser Wert ist im Vergleich zu 2021 um 4 Prozentpunkte gesunken. Zwischen 2014 und 2016 war dieser Anteil ebenfalls gesunken, da Lebensumstände, bei denen die Eltern junger Menschen verstorben oder unbekannt sind (2016 betrug deren Anteil 35%), stärker in den Fokus gerückt waren. Es ist davon auszugehen, dass die damaligen Veränderungen auf die in diesem Zeitraum größer gewordene Adressat:innengruppe der unbegleiteten ausländischen Minderjährigen und deren Lebensumstände zurückzuführen sind. Seit 2017 hat der Anteil von jungen Menschen, deren Eltern verstorben oder unbekannt sind, in Fremdunterbringungen abgenommen. Junge Menschen aus alleinerziehenden Familien nehmen seitdem den größten Anteil bei Fremdunterbringungen ein (vgl. Abb. 3.1).

ABB. 3.1:

Hilfen zur Erziehung (einschließlich der Hilfen für junge Volljährige) nach Familienstatus und Hilfearten (Deutschland; 2022; begonnene Hilfen; Angaben in %)

* Einschließlich der sonstigen Hilfen
Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Erzieherische Hilfe, Eingliederungshilfe, Hilfe für junge Volljährige 2022; Datenzusammenstellung und Berechnungen der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik

Bei der länderspezifischen Betrachtung der Alleinerziehendenquote in den erzieherischen Hilfen bilden sich regionale Unterschiede ab (vgl. Tab. 3.1). Dies gilt sowohl für die Erziehungsberatung als auch für die Hilfen zur Erziehung, die über den ASD organisiert werden. Der bundesweit ausgewiesene Anteil der Alleinerziehenden in den erzieherischen Hilfen (ohne Erziehungsberatung) von 47% reicht von 42% in Rheinland-Pfalz bis zu 55% in Sachsen-Anhalt. In den ostdeutschen Ländern fällt die Quote mit 51% etwas höher als in den westdeutschen Ländern aus (47%).

Für die Erziehungsberatung wird deutschlandweit mit 38% eine geringere Alleinerziehendenquote ausgewiesen. Deutliche regionale Unterschiede zeigen sich aber auch hier: Während die Quote in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und im Saarland bei 34% liegt, ist beinahe jede zweite Familie, die eine Erziehungsberatung in den Stadtstaaten Berlin (46%), Bremen und Hamburg (jeweils 45%) erhält, alleinerziehend.

Unter Berücksichtigung der Alleinerziehendenquote in der Bevölkerung, die 2022 bei 19% liegt, zeigt sich eine deutliche Überrepräsentanz dieser Adressat:innengruppe in den Hilfen zur Erziehung – für die vom ASD organisierten Hilfen noch stärker als für die Erziehungsberatung. Mit Blick auf die Hilfen zur Erziehung (ohne Erziehungsberatung) reicht das Spektrum der Differenz zwischen der Alleinerziehendenquote in den Hilfen zur Erziehung und in der Bevölkerung zwischen 25 Prozentpunkten in Rheinland-Pfalz und 34 Prozentpunkten im Saarland; d.h. im Saarland sind die Alleinerziehenden in den Hilfen zur Erziehung besonders überrepräsentiert (vgl. Tab. 3.1). In den meisten Ländern deutet sich ein Zusammenhang zwischen der Alleinerziehendenquote in den erzieherischen Hilfen und der in der Bevölkerung an. Tendenziell zeigt sich, dass in vielen Ländern mit einem höheren Anteil an Alleinerziehenden in der Bevölkerung auch deren Anteil in den Hilfen zur Erziehung höher ist, mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen und dem Saarland.

Tab. 3.1:

Hilfen zur Erziehung (einschl. der Hilfen für junge Volljährige) nach Alleinerziehendenstatus im Vergleich zu dem Anteil der Alleinerziehenden in der Bevölkerung (Länder; 2022; begonnene Hilfen; Angaben absolut und in %)

BundeslandFamilien in Erziehungsberatung 2022 (abs.)Darunter Alleinerziehende in Erziehungsberatung 2022 (in %)Familien in Hilfen zur Erziehung (ohne § 28 SGB VIII) 2022 (abs.)Darunter Alleinerziehende in Hilfen zur Erziehung (ohne § 28 SGB VIII) 2022 (in %)Alleinerziehende in der Bevölkerung 2022 (in %)
Baden-Württemberg41.16234,420.49343,116,0
Bayern44.09435,517.47342,515,0
Berlin17.03945,616.11049,722,8
Brandenburg9.57841,16.41149,623,9
Bremen1.40245,42.37550,423,9
Hamburg3.89845,18.15251,224,5
Hessen20.72139,510.04845,818,6
Mecklenburg-Vorpommern3.21342,14.61150,224,5
Niedersachsen30.36237,618.57645,418,2
Nordrhein-Westfalen79.75635,548.20348,818,4
Rheinland-Pfalz14.47034,39.92342,317,3
Saarland2.12033,82.28251,517,2
Sachsen17.00241,37.18649,423,2
Sachsen-Anhalt8.06039,85.81555,426,4
Schleswig-Holstein16.49339,66.70247,421,5
Thüringen8.19240,94.12452,525,5
Westdeutschland (einschl. Berlin)271.51736,9160.33746,617,9
Ostdeutschland46.04541,028.14751,324,4
Deutschland317.56237,5188.48447,318,9

Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Erzieherische Hilfe, Eingliederungshilfe, Hilfe für junge Volljährige 2022; Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Haushalte und Familien, Ergebnisse des Mikrozensus 2022; Datenzusammenstellung und Berechnungen der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik

  1. Für die Erziehungsberatung gilt bei der Erfassung von Daten die Besonderheit, dass, sofern nicht alle Informationen zur Lebenssituation der beratenen Familien bekannt sind, die Angaben beim Ausfüllen des Erhebungsbogens weggelassen werden können. Es ist nicht auszuschließen, dass die in diesem Kapitel ausgewiesenen Daten zu den Lebenslagen der Familien in der Erziehungsberatung nicht vollständig sind.