1. Ergebnisse im Überblick
Hilfen zur Erziehung auf einen Blick
Gesamtvolumen der Fallzahlen (Hilfen zur Erziehung + Hilfen für junge Volljährige, 2023): | |
Fallzahlen (Bestand am 31.12. + beendete Hilfen): | 1.032.929 |
Anzahl junger Menschen (Bestand am 31.12. + beendete Hilfen): | 1.214.017 |
Bevölkerungsbezogene Inanspruchnahme (Fallzahlen): | 616 pro 10.000 unter 21-Jährige |
Bevölkerungsbezogene Inanspruchnahme (Anzahl junger Menschen): | 724 pro 10.000 unter 21-Jährige |
Ausgaben für Einrichtungen und Leistungen (Hilfen zur Erziehung + Hilfen für junge Volljährige, 2023): | |
Ausgaben in 1.000 Euro: | 13.388.737 |
Ausgaben pro unter 21-Jährigen1: | 798 EUR |
Eckwerte (Hilfen zur Erziehung + Hilfen für junge Volljährige, 2023): | |
Durchschnittsalter der jungen Menschen bei Hilfebeginn: | 10,2 Jahre |
Anteil der Alleinerziehendenfamilien bei Hilfebeginn: | 40,5% |
Anteil der Transferleistungen beziehenden Familien bei Hilfebeginn: | 26,6% |
Anteil der jungen Menschen in Familien, in denen zu Hause nicht Deutsch gesprochen wird, bei Hilfebeginn: | 20,3% |
Durchschnittliche Dauer der beendeten Hilfen: | 9,6 Monate |
Anteil der beendeten Hilfen gemäß Hilfeplan (ohne Zuständigkeitswechsel der Jugendämter): | 70,9% |
Personalsituation: | |
Die Personalstatistik wird alle zwei Jahre durchgeführt. Seit dem Erhebungsjahr 2022 gilt die umfangreiche Neukonzeption, mit der das Personalvolumen für die Hilfen zur Erziehung nicht mehr in der bisherigen Form hilfeartbezogen erhoben wird und somit zukünftig nicht in der bisherigen Form dargestellt werden kann. Methodische Hinweise befinden sich in Kapitel 6. |
Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Erzieherische Hilfe, Eingliederungshilfe, Hilfe für junge Volljährige 2023; Ausgaben und Einnahmen 2023; Datenzusammenstellung und Berechnungen der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik
- Es handelt sich nicht um die Ausgaben pro Fall, sondern um die Ausgaben pro aller in Deutschland lebenden unter 21-Jährigen.
Hilfezahlen wachsen gegenüber dem Vorjahr an
Im Jahr 2023 haben junge Menschen und ihre Familien 1.032.929 erzieherische Hilfen in Anspruch genommen, rund 42.500 Leistungen mehr als im Vorjahr (+4%). Damit ist die Zahl dieser Unterstützungsleistungen nach einem starken Rückgang im Jahr 2020 und einer Stagnation 2021 erneut angewachsen. Diese Entwicklung spiegelt sich in ähnlicher Form auch bei den durch erzieherische Hilfen erreichten jungen Menschen wider. Im Jahr 2023 haben 1.214.017 junge Menschen erzieherische Hilfen in Anspruch genommen, was einer Steigerung von ebenfalls +4% entspricht (vgl. Kap. 2.1).
Betrachtet man nur die Zahl der jungen Menschen in Hilfen zur Erziehung, die über den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) organisiert werden, und lässt die Erziehungsberatung außen vor, so ist ein Zuwachs der Fallzahlen um 3% zu beobachten.
Je nach Hilfeart zeigen sich darüber hinaus unterschiedliche Entwicklungen: Während in allen drei Leistungssegmenten der Erziehungsberatung, der ambulanten Hilfen und der Fremdunterbringungen die Fallzahlen gestiegen sind, zeigen sich anteilig besonders hohe Zuwächse bei der intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung, der Erziehungsbeistandschaft, der Erziehungsberatung und bei der Heimerziehung.
Ausgaben von 13,39 Mrd. EUR für Hilfen zur Erziehung – deutlicher Zuwachs zwischen 2022 und 2023
Die kommunalen Jugendämter haben im Jahr 2023 13,39 Mrd. EUR für die Hilfen zur Erziehung einschließlich der Hilfen für junge Volljährige und der Erziehungsberatung aufgewendet. Bei einer gestiegenen Inanspruchnahme von Leistungen der Hilfen zur Erziehung sind damit die finanziellen Aufwendungen sowohl absolut als auch im Verhältnis zur Zahl der jungen Menschen gewachsen (vgl. Kap. 5).
Mit einem Plus von 12% übersteigt das Wachstum deutlich den Anstieg im Vorjahr (3%). Laut Angaben der KJH-Statistik werden für Hilfen zur Erziehung Jahr für Jahr mehr finanzielle Ressourcen seitens der kommunalen Jugendämter ausgegeben. Seit dem Jahr 2000, in dem noch 4,72 Mrd. EUR für die Hilfen zur Erziehung aufgewendet wurden, sind die Ausgaben um 183% auf die Summe von 13,39 Mrd. EUR in 2023 angestiegen. Gründe für die kontinuierlich steigenden Ausgaben – auch unter Berücksichtigung der Inflation – sind neben einer steigenden Inanspruchnahme ein anhaltend hoher Bedarf an Personal und damit verbundene (steigende) Kosten.
Der Anstieg der Ausgaben für die Hilfen zur Erziehung ist insbesondere in den 2000er-Jahren vor allem auf Mehrausgaben im Bereich der ambulanten Leistungen jenseits der Erziehungsberatung zurückzuführen. In der zweiten Dekade, und hier insbesondere zwischen 2015 und 2017, sind aber auch die Ausgaben für Vollzeitpflege und insbesondere Heimerziehung (Fremdunterbringungen) nicht nur wieder deutlich gewachsen, sondern haben stärker zugenommen als die finanziellen Aufwendungen für die ambulanten Leistungen. Während zwischen 2021 und 2022 die Aufwendungen für die Fremdunterbringung um 4% - und damit geringer als die allgemeinen Preise – stiegen, lässt sich für das Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr ein deutlicher Anstieg der Ausgaben um 13% feststellen. Nachdem die Aufwendungen für ambulante Hilfen zwischen 2018 und 2021 jährlich jeweils um 6% gestiegen sind, wurden 2022 nur 2% mehr Aufwendungen für die ambulanten Hilfen zur Erziehung im Vergleich zu 2021 aufgebracht. Im Jahr 2023 stiegen die Ausgaben für ambulante Leistungen der Hilfen zur Erziehung im Vergleich zum Vorjahr um 10% an. Für die Erziehungsberatung zeigt sich hingegen im Vergleich zu anderen Leistungssegmenten wie der Heimerziehung (Fremdunterbringungen) für den gesamten Zeitraum zwischen 2000 und 2023 eine weitaus geringere Ausgabenzunahme.
Innerhalb der Hilfen zur Erziehung werden der Heimerziehung die höchsten Ausgaben zugerechnet. Etwa jeder zweite Euro wird für stationäre Unterbringungen nach § 34 SGB VIII ausgegeben (47%), gefolgt von der Vollzeitpflege (12%), der sozialpädagogischen Familienhilfe (11%) sowie der Tagesgruppenerziehung und den flexiblen „27,2er-Hilfen“ jenseits des rechtlich kodifizierten Leistungskanons (jeweils 5 %).
Ambulante Hilfen zur Erziehung und Fremdunterbringung – auch eine Frage von Alter und Geschlecht
Seit Anfang der 2000er-Jahre werden pro Jahr mehr ambulante Leistungen in Anspruch genommen als junge Menschen in Pflegefamilien oder Heimen leben. Dies gilt nicht nur einschließlich der Erziehungsberatungsfälle, sondern auch dann, wenn man nur die über die Allgemeinen Sozialen Dienste organisierten Hilfen betrachtet (vgl. Kap. 2.1). Je nach Leistungssegment bestehen jedoch große Unterschiede bei der Altersverteilung (vgl. Kap. 2.2). Ambulante Leistungen werden häufiger von Familien mit (jüngeren) Kindern in Anspruch genommen. Demgegenüber sind in den Hilfen, die im Kontext von Fremdunterbringungen angeboten werden, erheblich mehr Jugendliche als Kinder zu finden. Dieses „Inanspruchnahmemuster“ ist seit 2010 recht konstant.
Nahezu unverändert zeigt sich die Geschlechterverteilung in den Hilfen zur Erziehung. Hier ist festzustellen, dass der Anteil der Jungen und jungen Männer in den Hilfen zur Erziehung insgesamt bei 54% liegt. In allen Leistungssegmenten bzw. Hilfearten sind Jungen und junge Männer insgesamt etwas überrepräsentiert; bemerkenswert ist ihr stark gestiegener Anteil in den Fremdunterbringungen zwischen 2022 und 2023 (vgl. Kap. 2.2). Auch altersspezifisch gesehen ist die männliche Klientel in allen Jahrgängen stärker vertreten. Eine Ausnahme bildet die Erziehungsberatung: In den älteren Jahrgängen ab 14 werden deutlich mehr Beratungen von Mädchen und ihren Familien bzw. jungen Frauen nachgefragt.
Hilfen zur Erziehung als Reaktion auf bestimmte Lebenslagen von jungen Menschen und ihren Familien
Der (gesundheitsbedingte) Ausfall eines oder beider Elternteile, die Trennung und Scheidung, aber auch die Folgen von fehlenden materiellen Ressourcen sowie damit verbundene Ausgrenzungsprozesse und eingeschränkte Teilhabemöglichkeiten stellen Lebenslagen mit einem erhöhten Bedarf an Unterstützungsleistungen dar. Dieser entsteht, wenn Betreuung, Erziehung und Förderung in der Familie in zunehmendem Maße nicht gelingt oder zumindest ein erhöhtes Risiko des Scheiterns erkannt bzw. wahrgenommen wird. Hilfen zur Erziehung sind demnach notwendige Unterstützungsleistungen für Familien in belastenden Lebenskonstellationen.
Vor diesem Hintergrund sind Alleinerziehende überproportional in den Hilfen zur Erziehung vertreten (vgl. Kap. 3.1) – in der Regel sind sie dazu noch besonders auf staatliche finanzielle Unterstützung angewiesen. Es deutet einiges darauf hin, dass dies nicht folgenlos für die Gewährungspraxis der Jugendämter ist. Das heißt beispielsweise: in den meisten Ländern, in denen der Anteil junger Menschen und deren Familien in belastenden Lebenslagen besonders hoch ist, liegt die Gewährungsquote von erzieherischen Hilfen über dem Bundesergebnis (vgl. Kap. 3.2).
Familien, in denen vorrangig kein Deutsch gesprochen wird, stellen ebenfalls eine besondere Herausforderung für das Hilfesystem dar (vgl. Kap. 3.3). Familien mit Migrationshintergrund, die eine ambulante familienorientierte Hilfe erhalten, sind eher auf staatliche finanzielle Unterstützung angewiesen als Familien ohne Migrationshintergrund. Hierbei sind vor allem Familien mit Migrationshintergrund betroffen, die zu Hause vorrangig nicht Deutsch sprechen.
Zwischenzeitlich hat das Thema Migration zudem durch unbegleitete ausländische Minderjährige (UMA) und junge Volljährige mit Fluchterfahrungen bzw. ehemalige UMA, die als Adressat:innen der Hilfen zur Erziehung im Allgemeinen und der Heimerziehung im Besonderen verstärkt in den Fokus getreten sind, die Fachdiskussion mitbestimmt. Nach einer längeren rückläufigen Phase – bedingt durch den ab 2017 nachlassenden Bedarf an Hilfen für UMA – ist in 2022 wieder ein Anstieg der Fallzahlen in der Fremdunterbringung festzustellen.
Diese Ergebnisse verdeutlichen einerseits, dass Leistungen der Hilfen zur Erziehung auf sozioökonomische Verhältnisse und andere Lebenslagen mit besonderen Herausforderungen für das Aufwachsen junger Menschen und eine gelingende Erziehung in der Familie reagieren. Andererseits deuten die Befunde aber auch darauf hin, dass die Wahrnehmung dieser Konstellationen sowie damit verbundene Definitionsprozesse und Handlungsmuster von Fachkräften und Teams der Sozialen Dienste gleichermaßen einen Einfluss auf die Gewährungspraxis erzieherischer Hilfen haben können. Die beiden Befunde verweisen sowohl auf die Notwendigkeit, mit anderen Organisationen bzw. Akteuren des Sozialwesens, wie z.B. dem Jobcenter, zu kooperieren, als auch auf die Bedeutung einer regelmäßigen, kritischen (Selbst-)Reflexion professionellen Handelns der Fachkräfte in den Sozialen Diensten.
Keine einfachen und monokausalen Erklärungen für regionale Unterschiede
Regionale Unterschiede bei den Hilfen zur Erziehung sind zwar notwendig und erwünscht, um bedarfsgerechte lokale Hilfesysteme zu organisieren, jedoch auch erklärungsbedürftig, insbesondere angesichts ihrer erheblichen Ausmaße (vgl. Kap. 4). Die Heterogenität der Gewährungspraxis bei Vollzeitpflege und Heimerziehung (Fremdunterbringung) ist im Vergleich zu anderen Hilfearten etwas geringer ausgeprägt und erscheint mit Blick auf ebenfalls regional unterschiedlich verteilte Risiken des Aufwachsens – wie z.B. Armut – in hohem Maße durch Faktoren außerhalb der Kinder- und Jugendhilfepraxis begründet zu sein. Weiterhin gilt der Grundsatz, dass die aufgezeigten Unterschiede nicht zu vereinfacht interpretiert werden dürfen, sondern dass sie einen Anlass bieten, die lokalen Bedingungen vor Ort mit Kenntnis ihrer Komplexität zu reflektieren.
Personal in den Hilfen zur Erziehung
Mit dem KJSG erfolgte 2021 eine vollständige Neukonzeption der bisherigen Einrichtungs- und Personalstatistik, die erstmals für den Stichtag 15.12.2022 durchgeführt wurde. Aufgefordert zur Statistikmeldung sind seitdem nicht mehr Einrichtungen und Behörden, sondern nur noch die Träger. Durch die neue Statistik lässt sich zukünftig die Gesamtzahl der Träger der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland beziffern. Die Daten dieser neuen Trägerstatistik bedürfen allerdings noch Plausibilitätsprüfungen und können auch nicht an die alte Statistik anknüpfen.
In früheren Auswertungen zum Monitor Hilfen zur Erziehung wurden Daten bis zum Datenjahr 2020 der früheren Teilstatistik zu den Einrichtungen und den tätigen Personen verwendet, über die bereits die institutionelle Ebene der Hilfen zur Erziehung erfasst wurde. Seit der Erhebung zum 31.12.2014 wurde alle zwei Jahre, zuvor alle vier Jahre, ein differenziertes Bild zur Personalsituation nachgezeichnet. Ergebnisse der früheren Personal- und Einrichtungsstatistik sind beispielsweise in dem Archiv der Steckbriefe zu den Hilfen zur Erziehung dieser Homepage enthalten.
Mit den Einrichtungs- und Personaldatenkann das Bild zum Arbeitsfeld der Hilfen zur Erziehung – neben den Daten zu den Fallzahlen und den Ausgaben – durch einen weiteren strukturellen Indikator vervollständigt werden. Anhand der Daten zu den Beschäftigten ist es möglich, ein Bild zu den personellen Ressourcen der Mitarbeitenden in den Hilfen zur Erziehung zu zeichnen.