Zum Hauptinhalt springen

1. Ergebnisse im Überblick

Hilfen zur Erziehung auf einen Blick

Gesamtvolumen der Fallzahlen (Hilfen zur Erziehung + Hilfen für junge Volljährige, 2022):
Fallzahlen (Bestand am 31.12. + beendete Hilfen):990.442
Anzahl junger Menschen (Bestand am 31.12. + beendete Hilfen):1.168.716
Bevölkerungsbezogene Inanspruchnahme (Fallzahlen):593 pro 10.000 unter 21-Jährige
Bevölkerungsbezogene Inanspruchnahme (Anzahl junger Menschen):700 pro 10.000 unter 21-Jährige
Ausgaben für Einrichtungen und Leistungen (Hilfen zur Erziehung + Hilfen für junge Volljährige, 2022):
Ausgaben in 1.000 Euro:11.975.026
Ausgaben pro unter 21-Jährigen1:717 EUR
Eckwerte (Hilfen zur Erziehung + Hilfen für junge Volljährige, 2022):
Durchschnittsalter der jungen Menschen bei Hilfebeginn:10,1 Jahre
Anteil der Alleinerziehendenfamilien bei Hilfebeginn:41,1%
Anteil der Transferleistungen beziehenden Familien bei Hilfebeginn:27,4%
Anteil der jungen Menschen in Familien, in denen zu Hause nicht Deutsch gesprochen wird, bei Hilfebeginn:19,4%
Durchschnittliche Dauer der beendeten Hilfen:9,9 Monate
Anteil der beendeten Hilfen gemäß Hilfeplan (ohne Zuständigkeitswechsel der Jugendämter)2:70,7%
Personalsituation (20203):
Tätige Personen:115.308
Vollzeitäquivalente4:83.857
Anteil der unter 30-jährigen Beschäftigten:27,6%
Anteil der über 55-jährigen Beschäftigten:17,9%
Professionalisierungsquote5:36,9%
Anteil der Vollzeit tätigen Personen:47,4%

Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Erzieherische Hilfe, Eingliederungshilfe, Hilfe für junge Volljährige 2022; Ausgaben und Einnahmen 2022; Einrichtungen und tätige Personen 2020; Datenzusammenstellung und Berechnungen der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik

  1. Es handelt sich nicht um die Ausgaben pro Fall, sondern um die Ausgaben pro aller in Deutschland lebenden unter 21-Jährigen.
  2. Wie in den Vorjahren und den anderen Auswertungen dieser Tabelle sind die Eingliederungshilfen gem. § 35a SGB VIII hier nicht berücksichtigt. Allerdings sind aufgrund von Geheimhaltungsvorschriften zur amtlichen Statistik folgende Hinweise zur Berechnung zu beachten: Die Fälle mit Zuständigkeitswechsel sind für die Eingliederungshilfen in 2022 nicht ausgewiesen und können anders als in den Vorjahren hier nicht herausgerechnet werden. Die Summe aller Fälle als Bezugswert enthält daher die Fälle mit Zuständigkeitswechsel der Eingliederungshilfen gem. § 35a SGB VIII. Ebenfalls sind die aufgrund von Adoption beendeten Fälle der Eingliederungshilfe in der Statistik nicht angegeben, sodass diese in den gemäß Hilfeplan beendeten Hilfen nicht enthalten sind.
  3. Die Personalstatistik wird alle zwei Jahre durchgeführt. Seit dem Erhebungsjahr 2022 gilt die umfangreiche Neukonzeption, deren erste Auswertung noch nicht abgeschlossen ist. Weitere methodische Hinweise befinden sich in Kap. 6.
  4. Rechnerische Vollzeitstellen (entspricht 39 Wochenstunden)
  5. Anteil der Akademiker:innen mit einem (sozial-)pädagogischen (Fach-)Hochschulabschluss

Hilfezahlen wachsen gegenüber dem Vorjahr an

Im Jahr 2022 haben junge Menschen und ihre Familie haben 990.442 erzieherische Hilfen in Anspruch genommen, rund 32.840 Leistungen mehr als im Vorjahr (+3%). Damit ist die Zahl dieser Unterstützungsleistungen nach einem starken Rückgang im Jahr 2020 und einer Stagnation 2021 erneut angewachsen. Diese Entwicklung spiegelt sich in ähnlicher Form auch bei den durch erzieherische Hilfen erreichten jungen Menschen wider. Im Jahr 2022 haben 1.168.716 junge Menschen erzieherische Hilfen in Anspruch genommen, was einer leichten Steigerung von +4% entspricht (vgl. Kap. 2.1).

Betrachtet man nur die Zahl der jungen Menschen in Hilfen zur Erziehung, die über den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) organisiert werden, und lässt die Erziehungsberatung außen vor, ist eine Steigung der Fallzahlen um 2% zu beobachten.

Je nach Hilfeart zeigen sich darüber hinaus unterschiedliche Entwicklungen: Im Jahr 2022 sind die Fallzahlen bei Fremdunterbringungen gestiegen. Die Anzahl an Tagesgruppen und Betreuungshilfen ist demgegenüber gesunken.

Ausgaben von 11,98 Mrd. EUR für Hilfen zur Erziehung – geringer Zuwachs zwischen 2021 und 2022

Die kommunalen Jugendämter haben im Jahre 2022 11,98 Mrd. EUR für die Hilfen zur Erziehung einschließlich der Hilfen für junge Volljährige und der Erziehungsberatung aufgewendet. Bei einer leicht steigenden Inanspruchnahme von Leistungen der Hilfen zur Erziehung sind damit die finanziellen Aufwendungen sowohl absolut als auch im Verhältnis zur Zahl der jungen Menschen gestiegen (vgl. Kap. 5).

Mit einem Plus von 3% ist das Wachstum gleichgeblieben wie im Vorjahr. Laut Angaben der KJH-Statistik werden für Hilfen zur Erziehung Jahr für Jahr mehr finanzielle Ressourcen seitens der kommunalen Jugendämter ausgegeben. Seit dem Jahr 2000, in dem noch 4,72 Mrd. EUR für die Hilfen zur Erziehung aufgewendet wurden, sind die Ausgaben um rund 153% auf die Summe von 11,98 Mrd. EUR in 2022 gestiegen. Gründe für die anhaltenden steigenden Ausgaben – auch unter Berücksichtigung der Inflation – sind neben einer steigenden Inanspruchnahme ein anhaltend hoher Bedarf an Personal und damit verbundene (steigende) Kosten. 

Der Anstieg der Ausgaben für die Hilfen zur Erziehung ist insbesondere in den 2000er-Jahren vor allem auf Mehrausgaben im Bereich der ambulanten Leistungen jenseits der Erziehungsberatung zurückzuführen. In der zweiten Dekade und hier insbesondere zwischen 2015 und 2017 sind aber auch die Ausgaben für Vollzeitpflege und insbesondere Heimerziehung (Fremdunterbringungen) nicht nur wieder deutlich gestiegen, sondern haben stärker zugenommen als die finanziellen Aufwendungen für die ambulanten Leistungen. Zwischen 2017 und 2018 jedoch sind die Aufwendungen für Leistungen im Rahmen der intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung und Heimerziehung erstmals seit dem Jahre 2000 wieder gegenüber dem Vorjahresergebnis zurückgegangen. Nachdem die Ausgaben für diese Hilfearten im Jahr 2018 und 2019 stagnierten, sind diese in den letzten Jahren wieder gestiegen; zuletzt 2022 um 4-9% gegenüber dem Vorjahr. Für die Erziehungsberatung zeigt sich hingegen im Vergleich zu anderen Leistungssegmenten wie der Heimerziehung (Fremdunterbringungen) für den gesamten Zeitraum zwischen 2000 und 2022 eine weitaus geringere Ausgabenzunahme.

Innerhalb der Hilfen zur Erziehung werden der Heimerziehung die höchsten Ausgaben zugerechnet. Etwas weniger als jeder zweite Euro wird für stationäre Unterbringungen nach § 34 SGB VIII ausgegeben (46%), gefolgt von der Vollzeitpflege (12%), der Sozialpädagogischen Familienhilfe (11%) sowie der Tagesgruppenerziehung und den flexiblen „27,2er-Hilfen“ jenseits des rechtlich kodifizierten Leistungskanons (jeweils 5 %).

Ambulante Hilfen zur Erziehung und Fremdunterbringung – auch eine Frage von Alter und Geschlecht

Seit Anfang der 2000er-Jahre werden pro Jahr mehr ambulante Leistungen in Anspruch genommen als junge Menschen in Pflegefamilien oder Heimen leben. Dies gilt nicht nur einschließlich der Erziehungsberatungsfälle, sondern auch dann, wenn man nur die über die Allgemeinen Sozialen Dienste organisierten Hilfen betrachtet (vgl. Kap. 2.1). Je nach Leistungssegment bestehen jedoch große Unterschiede bei der Altersverteilung (vgl. Kap. 2.2). Ambulante Leistungen werden häufiger von Familien mit (jüngeren) Kindern in Anspruch genommen. Demgegenüber sind in den Hilfen, die im Kontext von Fremdunterbringungen angeboten werden, erheblich mehr Jugendliche als Kinder zu finden. Dieses „Inanspruchnahmemuster“ ist seit 2010 recht konstant.

Nahezu unverändert zeigt sich die Geschlechterverteilung in den Hilfen zur Erziehung. Hier ist festzustellen, dass der Anteil der Jungen und jungen Männer in den Hilfen zur Erziehung insgesamt bei 54% liegt. In allen Leistungssegmenten bzw. Hilfearten sind Jungen und junge Männer insgesamt etwas überrepräsentiert (vgl. Kap. 2.2). Auch altersspezifisch gesehen ist die männliche Klientel in allen Jahrgängen stärker vertreten. Eine Ausnahme bildet die Erziehungsberatung: In den älteren Jahrgängen ab 14 werden deutlich mehr Beratungen von Mädchen und ihren Familien bzw. jungen Frauen nachgefragt.

Hilfen zur Erziehung als Reaktion auf bestimmte Lebenslagen von jungen Menschen und ihren Familien

Der (gesundheitsbedingte) Ausfall eines oder beider Elternteile, die Trennung und Scheidung, aber auch die Folgen von fehlenden materiellen Ressourcen sowie damit verbundene Ausgrenzungsprozesse und eingeschränkte Teilhabemöglichkeiten stellen Lebenslagen mit einem erhöhten Bedarf an Unterstützungsleistungen dar. Dieser entsteht, wenn Betreuung, Erziehung und Förderung in der Familie in zunehmendem Maße nicht gelingt oder zumindest ein erhöhtes Risiko des Scheiterns erkannt bzw. wahrgenommen wird. Hilfen zur Erziehung sind demnach notwendige Unterstützungsleistungen für Familien in belastenden Lebenskonstellationen.

Vor diesem Hintergrund sind Alleinerziehende überproportional in den Hilfen zur Erziehung vertreten (vgl. Kap. 3.1) – in der Regel solche, die dazu noch besonders auf staatliche finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Es deutet einiges darauf hin, dass dies nicht folgenlos für die Gewährungspraxis der Jugendämter ist. Das heißt beispielsweise: In den meisten Ländern, in denen der Anteil junger Menschen und deren Familien in belastenden Lebenslagen besonders hoch ist, liegt die Gewährungsquote von erzieherischen Hilfen über dem Bundesergebnis (vgl. Kap. 3.2).

Familien, in denen vorrangig kein Deutsch gesprochen wird, stellen ebenfalls eine besondere Herausforderung für das Hilfesystem dar (vgl. Kap. 3.3).

Zwischenzeitlich hat das Thema Migration zudem durch unbegleitete ausländische Minderjährige (UMA) und junge Volljährige mit Fluchterfahrungen bzw. ehemalige UMA, die als Adressat:innen der Hilfen zur Erziehung im Allgemeinen und der Heimerziehung im Besonderen verstärkt in den Fokus getreten sind, die Fachdiskussion mitbestimmt. In den letzten Jahren zeigt sich hier allmählich ein rückläufiger Trend. Gleichwohl sind nach wie vor Familien mit Migrationshintergrund, die eine ambulante familienorientierte Hilfe erhalten, eher auf staatliche finanzielle Unterstützung angewiesen als Familien ohne Migrationshintergrund. Hierbei sind eher Familien mit Migrationshintergrund betroffen, die zu Hause vorrangig nicht Deutsch sprechen.

Diese Ergebnisse verdeutlichen einerseits, dass Leistungen der Hilfen zur Erziehung auf sozioökonomische Verhältnisse und andere Lebenslagen mit besonderen Herausforderungen für das Aufwachsen junger Menschen und eine gelingende Erziehung in der Familie reagieren. Andererseits deuten die Befunde aber auch darauf hin, dass die Wahrnehmung dieser Konstellationen sowie damit verbundene Definitionsprozesse und Handlungsmuster von Fachkräften und Teams der Sozialen Dienste gleichermaßen einen Einfluss auf die Gewährungspraxis erzieherischer Hilfen haben können. Die beiden Befunde verweisen sowohl auf die Notwendigkeit mit anderen Organisationen bzw. Akteuren des Sozialwesens, wie z.B. dem Jobcenter, zu kooperieren als auch auf die Bedeutung einer regelmäßigen kritischen (Selbst-)Reflexion professionellen Handelns der Fachkräfte in den Sozialen Diensten.

Keine einfachen und monokausalen Erklärungen für regionale Unterschiede

Regionale Unterschiede bei den Hilfen zur Erziehung sind zwar notwendig und erwünscht, um bedarfsgerechte lokale Hilfesysteme zu organisieren, jedoch auch erklärungsbedürftig, insbesondere angesichts ihrer erheblichen Ausmaße (vgl. Kap. 4). Die Heterogenität der Gewährungspraxis bei Vollzeitpflege und Heimerziehung (Fremdunterbringung) ist im Vergleich zu anderen Hilfearten etwas geringer ausgeprägt und erscheint mit Blick auf ebenfalls regional unterschiedlich verteilte Risiken des Aufwachsens – wie z.B. Armut – in hohem Maße durch Faktoren außerhalb der Kinder- und Jugendhilfepraxis begründet zu sein. Weiterhin gilt der Grundsatz, dass die aufgezeigten Unterschiede nicht zu vereinfacht interpretiert werden dürfen, sondern dass sie einen Anlass bieten, die lokalen Bedingungen vor Ort mit Kenntnis ihrer Komplexität zu reflektieren.

Personal in den Hilfen zur Erziehung in 2020 – Zunahme insbesondere bei jüngeren Fachkräften

Mit den Einrichtungs- und Personaldaten, die zuletzt zum Stichtag 31.12.2020 erhoben wurden, kann das Bild zum Arbeitsfeld der Hilfen zur Erziehung – neben den Daten zu den Fallzahlen und den Ausgaben – durch einen weiteren strukturellen Indikator vervollständigt werden. Anhand der Daten zu den Beschäftigten ist es möglich, ein Bild zu den personellen Ressourcen der Mitarbeitenden in den Hilfen zur Erziehung zu zeichnen.

Die Personal- und Einrichtungsstatistik zählte zuletzt für das Jahr 2020 115.308 Beschäftigte, die insgesamt in den Aufgabenbereichen der erzieherischen Hilfen tätig waren. Das Personalvolumen ist damit im Vergleich zu 2018 – dem vorangegangenen Berichtszeitraum mit damals 109.207 Beschäftigten – weiter angewachsen (+6%), ähnlich hoch wie die Entwicklung zwischen 2016 und 2018 mit einem Plus von 7%. Gegenüber früheren Jahren hat die Wachstumsdynamik des Personals im Arbeitsfeld der Hilfen zur Erziehung in den letzten Jahren erheblich nachgelassen. Zwischen 2014 und 2016 lag der Zuwachs bei 18% und fiel damit noch höher aus als zwischen 2010 und 2014.

Der aktuelle prozentuale Zuwachs der Mitarbeitenden zwischen 2018 und 2020 ist bei der Erziehungsberatung, den ambulanten Hilfen und den stationären Leistungen ähnlich und bewegt sich zwischen 4% bei der Erziehungsberatung und 6% bei den ambulanten Hilfen und stationären Leistungen. Der Anstieg im ambulanten Leistungsbereich geht im Wesentlichen auf die Entwicklungen bei den Erziehungsbeistandschaften und Betreuungshilfen zurück. Auch die Heimerziehung zählt immerhin 4.475 Beschäftigte mehr als noch 2018. Trotz rückläufiger Fallzahlen in 2019 und 2020 im stationären Bereich – auch bedingt durch den nachlassenden Bedarf bei der Gruppe der UMA – sind die Ressourcen weiter ausgebaut worden.

Weiterhin ist eine Verschiebung im Altersaufbau zugunsten jüngerer Mitarbeiter:innen zu beobachten, die sich bereits 2010 angedeutet hat. Unterstützt werden die jungen Angestellten hierbei derzeit wieder zunehmend durch ältere und in vielen Fällen vermutlich auch erfahrene Fachkräfte, denen eine besondere Bedeutung hinsichtlich Einarbeitung und Wissenstransfer zukommt. Diese Entwicklung in der Altersstruktur der Beschäftigten stellt die Sozialen Dienste und Träger von Angeboten der Hilfen zur Erziehung vor aktuelle und zukünftige Herausforderungen, kann jedoch mitunter auch Potenziale bergen. Fragen nach einem adäquaten Wissenstransfer stehen hier genauso im Vordergrund wie die nach der Gestaltung von Teamstrukturen, von einem guten kollegialen Austausch und fachlichen Standards.