1. Ergebnisse im Überblick
Hilfen zur Erziehung auf einen Blick
Gesamtvolumen der Fallzahlen (Hilfen zur Erziehung + Hilfen für junge Volljährige, 2020): | |
Fallzahlen (Bestand am 31.12. + beendete Hilfen): | 963.020 |
Anzahl junger Menschen (Bestand am 31.12. + beendete Hilfen): | 1.121.778 |
Bevölkerungsbezogene Inanspruchnahme (Fallzahlen): | 594 pro 10.000 unter 21-Jährige |
Bevölkerungsbezogene Inanspruchnahme (Anzahl junger Menschen): | 692 pro 10.000 unter 21-Jährige |
Ausgaben für Einrichtungen und Leistungen (Hilfen zur Erziehung + Hilfen für junge Volljährige, 2020): | |
Ausgaben in 1.000 Euro: | 11.240.503 |
Ausgaben pro unter 21-Jährigen: | 818 EUR |
Eckwerte (2020): | |
Durchschnittsalter der jungen Menschen bei Hilfebeginn: | 10,0 Jahre |
Anteil der Alleinerziehendenfamilien bei Hilfebeginn: | 43,0% |
Anteil der Transferleistungen beziehenden Familien bei Hilfebeginn: | 31,2% |
Anteil der jungen Menschen in Familien, in denen zu Hause nicht Deutsch gesprochen wird, bei Hilfebeginn: | 17,5% |
Durchschnittliche Dauer der beendeten Hilfen: | 10,4 Monate |
Anteil der beendeten Hilfen gemäß Hilfeplan (ohne Zuständigkeitswechsel der Jugendämter): | 69,8% |
Personalsituation (2020): | |
Tätige Personen: | 115.308 |
Vollzeitäquivalente1: | 83.857 |
Anteil der unter 30-jährigen Beschäftigten: | 27,6% |
Anteil der über 55-jährigen Beschäftigten: | 17,9% |
Professionalisierungsquote²: | 36,9% |
Anteil der Vollzeit tätigen Personen: | 47,4% |
Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Erzieherische Hilfe, Eingliederungshilfe, Hilfe für junge Volljährige 2020; Ausgaben und Einnahmen 2020; Einrichtungen und tätige Personen 2020; Datenzusammenstellung
- Rechnerische Vollzeitstellen
- Anteil der Akademiker/-innen mit einem (sozial-)pädagogischen (Fach-)Hochschulabschluss
Weniger junge Menschen in den Hilfen zur Erziehung – Rückgang gegenüber den Vorjahren
Junge Menschen und ihre Familie haben 2020 963.020 erzieherische Hilfen in Anspruch genommen, rund 53.600 Leistungen weniger als im Vorjahr (-5%). Damit ist die Zahl dieser Unterstützungsleistungen nach einem kontinuierlichen Anstieg in den letzten Jahren erstmals seit 2008 zurückgegangen. Das gilt entsprechend für die Zahl der jungen Menschen unter 27 Jahren, die durch erzieherische Hilfen erreicht wurden. 2020 waren dies mit 1.121.778 Personen 4% weniger als 2019.
Betrachtet man nur die Zahl der jungen Menschen in Hilfen zur Erziehung, die über den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) organisiert werden, und lässt die Erziehungsberatung außen vor, ist der Rückgang der Fallzahlen weniger deutlich ausgeprägt und liegt mit -1% auf einem ähnlichen Niveau wie im Vorjahr. Von dem Fallzahlenrückgang ist daher in erster Linie die Beratung von Familien und jungen Menschen im Rahmen der Erziehungsberatungsstellen betroffen.
Je nach Hilfeart zeigen sich darüber hinaus unterschiedliche Entwicklungen: Im Jahr 2020 fand lediglich ein geringer Anstieg bei den Zahlen der ambulanten Hilfen statt, während sich bei Fremdunterbringungen die Tendenz der seit 2017 leicht rückläufigen Fallzahlen in diesem Leistungssegment fortsetzte.
Ausgaben von 11,24 Mrd. EUR für Hilfen zur Erziehung – trotz Rückgang der Inanspruchnahme geringer Zuwachs zwischen 2019 und 2020
Die kommunalen Jugendämter haben im Jahre 2020 11,24 Mrd. EUR für die Hilfen zur Erziehung einschließlich der Hilfen für junge Volljährige aufgewendet. Trotz des Rückgangs der Inanspruchnahme von Leistungen der Hilfen zur Erziehung sind damit die finanziellen Aufwendungen sowohl absolut als auch im Verhältnis zur Zahl der jungen Menschen gestiegen (vgl. Kap. 2.1). Mit einem Plus von 3% hat das Wachstum gegenüber 2% im Vorjahr sogar geringfügig zugenommen. Laut Angaben der KJH-Statistik werden für Hilfen zur Erziehung inklusive der Hilfen für junge Volljährige Jahr für Jahr mehr finanzielle Ressourcen seitens der kommunalen Jugendämter ausgegeben. Für 2020 belief sich das Ausgabenvolumen auf mittlerweile 11,24 Mrd. EUR – im Jahr 2000 waren es noch 4,72 Mrd. EUR (vgl. Kap. 5). Das entspricht über den gesamten Zeitraum betrachtet einer Zunahme von rund 138% (+46% von 2000 bis 2010 sowie +64% von 2010 bis 2020). Auch wenn von 2019 zu 2020 ein Rückgang der Inanspruchnahme zu beobachten ist, kann ein Grund für den weiterhin steigenden Trend der Ausgaben möglicherweise ein nach wie vor anhaltend hoher Bedarf an Personal sein, denn mit den Ausgaben sind gleichzeitig auch die Personalzahlen angestiegen und auch die Mehraufwendungen durch den Posten Personal aufgrund einer weiteren Erhöhung der Tarifgehälter.
Der Anstieg der Ausgaben für die Hilfen zur Erziehung ist insbesondere in den 2000er-Jahren vor allem auf Mehrausgaben im Bereich der ambulanten Leistungen jenseits der Erziehungsberatung zurückzuführen. In der zweiten Dekade und hier insbesondere zwischen 2015 und 2017 sind aber auch die Ausgaben für Vollzeitpflege und insbesondere Heimerziehung (Fremdunterbringungen) nicht nur wieder deutlich gestiegen, sondern haben stärker zugenommen als die finanziellen Aufwendungen für die ambulanten Leistungen. Zwischen 2017 und 2018 jedoch sind die Aufwendungen für Leistungen im Rahmen von Vollzeitpflegehilfen und Heimerziehung erstmals seit dem Jahre 2000 wieder gegenüber dem Vorjahresergebnis zurückgegangen und stagnierten dann zwischen 2018 und 2019, während aktuell erneut ein Anstieg um 0,18 Mrd. EUR (+4%) zu verzeichnen ist. Für die Erziehungsberatung zeigt sich hingegen im Vergleich zu den anderen Leistungssegmenten für den gesamten Zeitraum zwischen 2000 und 2020 eine weitaus geringere Ausgabenzunahme.
Innerhalb der Hilfen zur Erziehung werden der Heimerziehung die höchsten Ausgaben zugerechnet. Etwas mehr als jeder zweite Euro wird für stationäre Unterbringungen nach § 34 SGB VIII ausgegeben (55%), gefolgt von der Vollzeitpflege (13%) sowie der Sozialpädagogischen Familienhilfe (11%) und der Tagesgruppenerziehung sowie den flexiblen „27,2er-Hilfen“ jenseits des rechtlich kodifizierten Leistungskanons (jeweils 5%).
Ambulante Hilfen zur Erziehung und Fremdunterbringung – auch eine Frage von Alter und Geschlecht
Seit Anfang der 2000er-Jahre werden pro Jahr mehr ambulante Leistungen in Anspruch genommen als junge Menschen in Pflegefamilien oder Heimen leben. Dies gilt nicht nur einschließlich der Erziehungsberatungsfälle, sondern auch dann, wenn man nur die über die Allgemeinen Sozialen Dienste organisierten Hilfen betrachtet (vgl. Kap. 2.1). Je nach Leistungssegment bestehen jedoch große Unterschiede bei der Altersverteilung. Die Inanspruchnahme einer Beratung, einer ambulanten Hilfe oder einer Fremdunterbringung korrespondiert mit dem Alter der Adressat:innen. So werden ambulante Leistungen häufiger von Familien mit jüngeren Kindern in Anspruch genommen (vgl. Kap. 2.2). Demgegenüber sind in den Hilfen, die im Kontext von Fremdunterbringungen angeboten werden, erheblich mehr Jugendliche als Kinder zu finden. Dieses „Inanspruchnahmemuster“ ist für die letzten Jahre konstant, wenngleich aufgrund der Bedarfslagen von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen in den Jahren 2015 und 2016 insbesondere im Bereich der Heimerziehung deutliche Zunahmen bei zunächst den Jugendlichen sowie insbesondere 2017 und 2018 bei den jungen Volljährigen zu beobachten waren, die sich jedoch im aktuellen Datenjahr 2020 nicht mehr fortsetzen.
Nahezu unverändert zeigt sich die Geschlechterverteilung in den Hilfen zur Erziehung. Hier ist festzustellen, dass der Anteil der Jungen und jungen Männer in den Hilfen zur Erziehung insgesamt bei 55% liegt. In allen Leistungssegmenten bzw. Hilfearten sind Jungen und junge Männer insgesamt etwas überrepräsentiert (vgl. Kap. 2.2). Auch altersspezifisch gesehen ist die männliche Klientel in allen Jahrgängen stärker vertreten. Eine Ausnahme bildet die Erziehungsberatung: In den älteren Jahrgängen werden mehr Beratungen von Mädchen und ihren Familien nachgefragt.1
Hilfen zur Erziehung als Reaktion auf bestimmte Lebenslagen von jungen Menschen und ihren Familien
Der Ausfall eines oder beider Elternteile, die Trennung und Scheidung, aber auch die Folgen von fehlenden materiellen Ressourcen sowie damit verbundene Ausgrenzungsprozesse und eingeschränkte Teilhabemöglichkeiten stellen Lebenslagen mit einem erhöhten Bedarf an Unterstützungsleistungen dar, weil Betreuung, Erziehung und Förderung in der Familie in zunehmendem Maße nicht gelingt oder zumindest ein erhöhtes Risiko des Scheiterns erkannt bzw. wahrgenommen wird. Hilfen zur Erziehung sind demnach notwendige Unterstützungsleistungen für Familien in belastenden Lebenskonstellationen.
Vor diesem Hintergrund sind Alleinerziehende überproportional in den Hilfen zur Erziehung vertreten (vgl. Kap. 3.1) – in der Regel solche, die dazu noch besonders auf staatliche finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Es deutet einiges darauf hin, dass dies nicht folgenlos für die Gewährungspraxis der Jugendämter ist. Das heißt beispielsweise: In den meisten Ländern, in denen der Anteil junger Menschen und deren Familien in belastenden Lebenslagen besonders hoch ist, liegt die Gewährungsquote von erzieherischen Hilfen über dem Bundesergebnis (vgl. Kap. 3.2).
Familien, in denen vorrangig kein Deutsch gesprochen wird, stellen ebenfalls eine besondere Herausforderung für das Hilfesystem dar (vgl. Kap. 3.3). Zwischenzeitlich hat das Thema Migration zudem durch unbegleitete ausländische Minderjährige (UMA) und junge Volljährige mit Fluchterfahrungen bzw. ehemalige UMA, die als Adressat:innen der Hilfen zur Erziehung im Allgemeinen und der Heimerziehung im Besonderen verstärkt in den Fokus getreten sind, die Fachdiskussion mitbestimmt. Aktuell zeigt sich hier allmählich ein rückläufiger Trend. Gleichwohl sind nach wie vor Familien mit Migrationshintergrund, die eine ambulante familienorientierte Hilfe erhalten, eher auf staatliche finanzielle Unterstützung angewiesen als Familien ohne Migrationshintergrund. Hierbei sind eher Familien mit Migrationshintergrund betroffen, die zu Hause vorrangig nicht Deutsch sprechen.
Diese Ergebnisse verdeutlichen einerseits, dass Leistungen der Hilfen zur Erziehung auf sozioökonomische Verhältnisse und andere Lebenslagen mit besonderen Herausforderungen für das Aufwachsen junger Menschen und eine gelingende Erziehung in der Familie reagieren. Andererseits deuten die Befunde aber auch darauf hin, dass die Wahrnehmung dieser Konstellationen sowie damit verbundene Definitionsprozesse und Handlungsmuster von Fachkräften und Teams der Sozialen Dienste gleichermaßen einen Einfluss auf die Gewährungspraxis erzieherischer Hilfen haben können. Die beiden Befunde verweisen zum einen auf die Notwendigkeit mit anderen Organisationen bzw. Akteuren des Sozialwesens, wie z.B. dem Jobcenter, zu kooperieren und zum anderen auf die Bedeutung einer regelmäßigen kritischen (Selbst-)Reflexion professionellen Handelns der Fachkräfte in den Sozialen Diensten.
Keine einfachen und monokausalen Erklärungen für regionale Unterschiede
Regionale Unterschiede bei den Hilfen zur Erziehung sind zwar notwendig und erwünscht, um bedarfsgerechte lokale Hilfesysteme zu organisieren, gleichwohl jedoch auch erklärungsbedürftig, insbesondere angesichts der Ausmaße der örtlichen Diversifizierungen (vgl. Kap. 4). Die Heterogenität der Gewährungspraxis bei Vollzeitpflegehilfen und Heimerziehung (Fremdunterbringung) ist im Vergleich zu anderen Hilfearten etwas geringer ausgeprägt und erscheint mit Blick auf ebenfalls regional unterschiedlich verteilte Risiken des Aufwachsens – wie z.B. Armutsrisiken – in hohem Maße durch Faktoren außerhalb der Kinder- und Jugendhilfepraxis begründet zu sein. Weiterhin gilt der Grundsatz, dass die aufgezeigten Unterschiede nicht zu vereinfacht interpretiert werden dürfen, sondern dass sie einen Anlass bieten, die lokalen Bedingungen vor Ort mit Kenntnis ihrer Komplexität zu reflektieren.
Personal in den Hilfen zur Erziehung – Zunahme insbesondere bei jüngeren Fachkräften
Mit den Einrichtungs- und Personaldaten, die zuletzt zum Stichtag 31.12.2020 erhoben wurden, kann das Bild zum Arbeitsfeld der Hilfen zur Erziehung durch einen weiteren strukturellen Indikator, neben den Daten zu den Fallzahlen und den Ausgaben, vervollständigt werden. Anhand der Daten zu den Beschäftigten ist es möglich, ein aktuelles Bild zu den personellen Ressourcen der Mitarbeitenden in den Hilfen zur Erziehung zu zeichnen.
Die Personal- und Einrichtungsstatistik zählte zuletzt für das Jahr 2020 115.308 Beschäftigte, die insgesamt in den Aufgabenbereichen der erzieherischen Hilfen tätig waren. Das Personalvolumen ist damit im Vergleich zu 2018 – dem vorangegangenen Berichtszeitraum mit damals 109.207 Beschäftigten – weiter angewachsen (+6%), ähnlich hoch wie die Entwicklung zwischen 2016 und 2018 mit einem Plus von 7%. Gegenüber früheren Jahren hat die Wachstumsdynamik des Personals im Arbeitsfeld der Hilfen zur Erziehung in den letzten Jahren erheblich nachgelassen. Zwischen 2014 und 2016 lag der Zuwachs bei 18% und fiel damit noch höher aus als zwischen 2010 und 2014.
Der aktuelle prozentuale Zuwachs der Mitarbeitenden zwischen 2018 und 2020 ist bei der Erziehungsberatung, den ambulanten Hilfen und den stationären Leistungen ähnlich und bewegt sich zwischen 4% bei der Erziehungsberatung und 6% bei den ambulanten Hilfen und stationären Leistungen. Der Anstieg im ambulanten Leistungsbereich geht im Wesentlichen auf die Entwicklungen bei den Erziehungsbeistandschaften und Betreuungshilfen zurück. Auch die Heimerziehung zählt immerhin 4.475 Beschäftigte mehr als noch 2018. Trotz zuletzt rückläufiger Fallzahlen im stationären Bereich – auch bedingt durch den nachlassenden Bedarf bei der Gruppe der UMA – sind die Ressourcen weiter ausgebaut worden.
Weiterhin ist eine Verschiebung im Altersaufbau zugunsten jüngerer Mitarbeiter:innen zu beobachten, die sich bereits 2010 angedeutet hat. Unterstützt werden die jungen Angestellten hierbei derzeit wieder zunehmend durch ältere und in vielen Fällen vermutlich auch erfahrene Fachkräfte, denen eine besondere Bedeutung in Sachen Wissenstransfer zukommt. Diese Entwicklung in der Altersstruktur der Beschäftigten stellt die Sozialen Dienste und Träger von Angeboten der Hilfen zur Erziehung vor aktuelle und zukünftige Herausforderungen, kann mitunter auch Potenziale bergen. Fragen nach einem adäquaten Wissenstransfer stehen hier genauso im Vordergrund wie die nach der Gestaltung von Teamstrukturen, von einem guten kollegialen Austausch und fachlichen Standards.